Eine neue Broschüre liegt vor: „Que(e)rschnitt Inklusion – Bestandsaufnahme einer inklusiven LGBTIQ-Infrastruktur in Berlin“.

Es ist eine Untersuchung darüber, wo in Zusammenhängen der LGBTIQ-Szenen in Berlin Behinderung vorkommt bzw miteinbezogen ist. Allzu viel ist in der Realität leider nicht zu finden, weshalb es eher eine Bestandsaufnahme darüber ist, was diesbezüglich fehlt oder anders gemacht werden müsste.

Besonders lesenswert finde ich das Interview mit der Schriftstellerin Andrea Lauer, einer lesbischen Frau und Mutter mit Behinderung und das Interview mit dem Sexualpädagogen Andreas Ritter von profamilia.

Andrea Lauer ist der Meinung, dass allein ihre soziale Existenz als behinderte Frau, Mutter und Lesbe die Gesellschaft herausfordert. Es reicht nicht, auf die Solidarität und die Selbstorganisation der kleinen queeren Initiativen zu vertrauen. Zum einen benennt sie als sehr großes Hindernis die Barriere in den Köpfen, diese Barriere, die auch die meisten in der queeren Szene behinderte Menschen nicht als gleichwertige sexuelle Gegenüber wahrnehmen lässt, und zum anderen findet sie, dass von diesen kleinen Initiativen nicht die Arbeit gemacht werden kann und soll, die der Staat zu machen und hinreichend finanziell zu unterlegen hat.

Andreas Ritter berichtet aus der Erfahrung der Beratung von queeren Menschen mit geistiger Behinderung. Angehörige und Mitarbeiter problematisieren bei ihnen Queerness als Problem, anstatt nach Wegen zu suchen, ihr nachzukommen. Sie selbst können oft allein schon mit den Begrifflichkeiten nichts anfangen und wollen es oft auch nicht. Eine seiner lesbischen Klientinnen aus einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung sagte ihm am Ende einer Beratung. „Ich bin doch nicht blöd und geh wohin, wo queer draufsteht.“

Unsere Initiative „Sexybilities – Sexualität und Behinderung“ ist zwar nicht ausdrücklich auf LGBTIQ ausgerichtet, schließt diese aber auch nicht aus. Bei unserer Gründung im Jahr 2000 ging es eigentlich um dasselbe: Behinderte Menschen werden als gleichwertige sexuelle Gegenüber nicht wahrgenommen. Oft wurde ihnen (es ist gut 20 Jahre her) sogar Sexualität grundsätzlich abgesprochen. Sexybilities wurde sehr schnell deshalb bekannt, weil wir von unseren Klient*innen immer wieder nach sexuellen Diensten gefragt wurden und ihnen barrierefreie Bordelle oder auch barrierefreie Sexarbeiter*innen (sprich: die auch für behinderte Kundschaft offen sind) vermitteln konnten. Auf diese Weise kam es zu meiner Kooperation mit move e.V.

Freya Rudek und Almut Sülzle, „Que(e)rschnitt Inklusion – Bestandsaufnahme einer inklusiven LGBTIQ-Infrastruktur in Berlin“:

https://camino-werkstatt.de/downloads/Queerschnitt-Inklusion_WEB.pdf

Matthias Vernaldi