Fast 75 Jahre nach Kriegsende hat der Deutsche Bundestag am Donnerstag, den 13. Februar 2020 Menschen, die während der nationalsozialistischen Diktatur als sogenannte „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ verfolgt wurden, als NS-Opfer anerkannt. Die größte Gruppe der unter dem Label „Asozial“ in KZs verbrachten Frauen waren Prostituierte. In den Anträgen der Parteien spielen sie eher eine Nebenrolle.

Die Nationalsozialisten griffen nach der Ermächtigung auf die Register der Gesundheitsämter zurück und knüpften ein dichtes Netz von Gesetzen, Erlassen und Verordnungen, die es erlaubten, jede Frau und jedes Mädchen festzusetzen, die ihren Vorstellungen von „Sitte“ und „Anstand“ nicht entsprachen.1

Tausende Prostituierte oder der Prostitution verdächtigte Mädchen und Frauen – sogenannte hwG-Personen2 wurden als „asozial“, „arbeitsscheu“, „gemeinschaftsschädigend“, „moralisch schwachsinnig“ oder als „Berufsverbrecher“ klassifiziert und in Arbeitshäuser, psychiatrische Anstalten, Jugendfürsorgeeinrichtungen und Konzentrationslager eingesperrt. Sie wurden von Ehe und Fortpflanzung ausgeschlossen, sterilisiert, medizinischen Versuchen unterworfen, zur Arbeit gezwungen, mißhandelt und getötet.3

Nur wenige überlebten diese Zeit. Solidarität und Mitgefühl erfuhren diese Frauen kaum, weder von Mitgefangenen im KZ noch von der Gesellschaft der Nachkriegszeit. Das Verdikt der Unsittlichkeit und die Doppelmoral der Gesellschaft wirkten hier wie dort.

Darum haben sie auch nach Kriegsende nicht über den Grund ihrer Verhaftung gesprochen und gar nicht erst versucht, Entschädigungen zu erhalten. Darum existieren kaum Zeugnisse ihres Lebens und Leidens. Und genau darum wurden sie erst nach 75 Jahren als Opfer anerkannt.

Wir wollen versuchen, ihre Spuren zu finden. Einiges haben wir bereits gesammelt, zum Beispiel die Geschichte von Else Krug, die im KZ ermordet wurde. Im Geschichtswagen der Schwarmkunstaktion Strichcode-Move wurde es in Berlin und Hannover ausgestellt und ist bald auch in Bochum zu sehen.

Macht mit. Schickt uns, was ihr von Frauen wisst, die dem Regime zum Opfer fielen, oder postet es in den Netzwerken!

Dazu ein Lesetipp auf kaufmich.com: Stille Heldinnen: In Nazi-Deutschland retteten Prostituierte verfolgte Juden

 

Zum Beispiel Else Krug

Else Krug, geb. am 03.03 1900 arbeitete in den 30er Jahren im Fach „Sadismus“ in der Corneliusstraße, dem damaligen Herzen des Rotlichtviertels in Düsseldorf. Ein Diensttagebuch der Polizei aus dem Jahr 1938 vermerkt, dass sie in der Nacht des 30. Juli 1938 nach einer Razzia aufgrund Himmlers Erlass gegen „Asoziale“ festgenommen wurde. Sie wurde in das Konzentrationslager Ravensbrück verbracht.4

Die Mitgefangene Margarete Buber-Neumann, Blockälteste im Block der „Asozialen“ schreibt über ihre Begegnung mit Else Krug:

“Sie sagte: ,nu woll’n wir mal ’n bißchen Naturkunde treiben!‘ Und dann erzählte sie aus ihrem Leben als sadistische Prostituierte. (…)Bis dahin hatte ich mich – als ein Mensch, der teils medizinische, teils pseudowissenschaftliche Literatur über dieses Gebiet gelesen hatte – für völlig aufgeklärt gehalten. Aber Else Krugs Berichte ließen mir die Haare zu Berge stehen. Im Gegensatz zu den anderen Asozialen sprach sie trocken und sachlich von den perversesten Ungeheuerlichkeiten, und in ihrer ganzen Art lag ein gewisser ‚Berufsstolz‘.“5

Über Else Krugs Funktion als Anweisungshäftling der Kellerkolonne, ein begehrtes Kommando, da im Keller der Küchenbaracke die Vorräte lagerten:

„Welche Möglichkeiten zu stehlen! Und welche Gefahren, erwischt zu werden! Else hat es fertiggebracht durch die Zeit von mehr als einem Jahr keine Meldung zu bekommen, und das bei einer Kolonne mit Asozialen! Wie war das möglich? Vor allem, weil Else eine Persönlichkeit war, und nicht nur, weil sie für alle Mitglieder der Kolonne stahl und die Beute gerecht verteilte.“6

Sie bekam dann – möglicherweise durch Denunziation politischer Gefangener7 – doch eine Meldung bei der zuständigen SS-Aufseherin und kam zur Strafe nach kurzem Bunkerarrest für ein Jahr in den Strafblock.

„Im Frühjahr 1942 (…) wurde Else Krug eines Tages aus dem Strafblock zum Lagerkommandanten Kögel gerufen. Er befahl: ,Krug, Sie werden ab sofort aus dem Strafblock entlassen und gegen dreifache Essenration an der Vollstreckung des Strafvollzugs teilnehmen! Das liegt doch auf Ihrem Gebiet.‘8

Else Krug antwortete: ,Nein, Herr Lagerkommandant, ich schlage niemals einen Mithäftling!‘ Kögel schäumte: ;Was, sie dreckige Hure, Sie wollen die Arbeit verweigern?! – ;Jawohl Herr Lagerkommandant!‘ – ;Sie werden noch an mich denken! Ab!‘ Else Krug ging zurück in den Strafblock. Einige Wochen später schickte man sie mit einem Krankentransport ins Gas. Else wußte, wohin es ging, und auch, daß es Kögels Rache war.“

1 Gleß, 1999, S.90ff, Bock, 1980, S.86f

2 Personen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr, diese Kategorie wurde bereits 1927 mit dem RGBG entwickelt.

3 dazu Bock, 1980 S. 80 ff, und ausführlich: Schikorra 2001,

4 Helm, 2016, S. 18f

5 Buber-Neumann, 1993, S.235, zitiert nach Schikorar , 2001 S. 192

6 ebenda

7 Strebel, Bernhard, 1995, S. 38

8 Buber-Neumann, 1993 S. 236, zitiert nach Schikorra, 2001, S.192

Quellen:

Bock, Gisela: „Keine Arbeitskräfte in diesem Sinne“, in: Biermann, Pieke, Hg: „Wir sind Frauen wie andere auch“, 1980

Buber-Neumann, Margarete: Als Gefangene bei Stalin und Hitler, Frankfurt/Main 1993

Gleß, Sabine: Die Reglementierung von Prostitution in Deutschland, Berlin 1999

Helm, Sarah: Ohne Haar und ohne Namen, Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, Darmstadt 2016

Schikorra, Christa: Kontinuitäten der Ausgrenzung – „Asoziale“ Häftlinge im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, Berlin 2001

Strebel, Bernhard: Verlängerter Arm der SS oder schützende Hand? Drei Fallbeispiele von weiblichen Funktionshäftlingen im KZ Ravensbrück

Bilder:

Bundesarchiv_Bild_183-M0313-0310,_Mahn-_und_Gedenkstätte_Ravensbrück,_Plastik.jpg

Schautafel: „Kennzeichen für Schutzhäftlinge in den Konzentrationslagern“; Lehrmaterial für SS-Wachmannschaften

Kategorien: Hintergründe