„Zahlen sind Schall und Rauch.“, „Traue keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast.“ … heißt es hier und da.
Wie die Zahl der angeblich 400.000 Sexarbeiter*innen, die in Deutschland tätig sein sollen, wird auch immer wieder die Zahl von 1,2 Millionen Kunden genannt, die täglich zu Sexarbeiter*innen gehen? Auch diese Zahl ist konstant und wird permanent wiederholt – seit 1988 – ohne sie zu hinterfragen.
Basierend auf die von EMMA 1986 in die Welt gesetzte Zahl von angeblich 400.000 Sexarbeiter*innen in Deutschland errechnete die Prostituiertenberatungsstelle HYDRA aus Berlin in ihrem HYDRA-Nachtexpress, Zeitung für Bar, Bordell und Bordstein, Berlin, 1988:
„In der Bundesrepublik arbeiten nach Schätzungen zirka 400.000 Prostituierte. Geht man davon aus, dass
jede Frau pro Tag 3 Kunden hat, heißt das, dass täglich 1,2 Millionen Männer Prostituierte aufsuchen. Diese Zahl kann man natürlich nicht mit 365 Kalendertagen pro Jahr hochrechnen (Feiertage und Urlaub sind zu berücksichtigen, manch eine Frau arbeitet nur wenige Tage im Jahr, und Doppelzählungen der Kunden sollen auch vermieden werden), aber sie mit 10 Tagen zu multiplizieren, scheint uns als Minimalansatz realistisch. Demnach gibt es in der Bundesrepublik:
1,2 Millionen Freier x 10 Tage = 12 Millionen Freier.“
Weiter wird dann gerechnet: „Knapp 60 Millionen Einwohner leben zur Zeit (1988) in der Bundesrepublik, und schätzungsweise die Hälfte davon sind Männer, das heißt, knapp 30 Millionen Männer, wovon sich zirka 16 Millionen Männer derzeit im geschlechtsaktiven Alter (Kinder und alte Menschen ausgeschlossen) befinden. Stellen wir diese beiden Zahlen – 12 Millionen Freier und 16 Millionen Männer im geschlechtsaktiven Alter – gegenüber, so müssen wir sagen, dass es sich bei 3 von 4 Männern um Freier handelt (unberücksichtigt bleiben bei diesem Zahlenbeispiel die Schwulen).“
Seit 1988 geistert auch diese Zahl durch sämtliche Medien, Studien, Vorträge und Gesetzesbegründungen – trotz Wiedervereinigung und EU-Osterweiterung. Das Deutschland von 1988 gibt es nicht mehr … aber die Zahlen werden wiederholt, wiederholt und wiederholt … und werden doch nicht wahr!
Im Gegensatz zu der erfundenen Zahl von 400.000 Sexarbeiter*innen wollte HYDRA mit dem Rechenbeispiel deutlich machen, dass im Grunde genommen jeder Mann Kunde einer Sexarbeiter*in sein könnte. Bei allen Diskussionen solle auch er gehört werden. Er solle sich in die politische Diskussion um Rechte für Sexarbeiter*innen einschalten und für die Rechte von Sexarbeiter*innen kämpfen, um so auch gegen seine eigene Diskriminierung und Stigmatisierung anzutreten. Und erst recht müssten sich jede gesundheitliche Aufklärungsarbeit, Pflichtuntersuchungen und jede staatliche Überwachung nicht nur an Sexarbeiter*innen richten, sondern auch an Männer – und dann gleich an alle Männer – zu ihrem eigenen Schutz!